Donnerstag, 26. Januar 2017

Taffe Mudda vs. die beste Ausrede der Welt



Nach einem halben Jahr sauberem Kraftausdauer- und Techniktraining – Wahnsinn, wie perfekt ich jetzt Übungen ausführen kann, bei denen ich vorher aufgrund des zu hohen Gewichts einfach mal gepfuscht habe – wurde das letzte Drittel der Schwangerschaft im wahrsten Sinne des Wortes beschwerlich: Das zusätzliche Gewicht drückt auf die Blase, ich bin bei den einfachsten Dingen außer Atem, der Kreislauf zickt, der Puls ist hoch, mir ist sooo warm, ich verrecke gleich. 

Mit fast 20 kg mehr auf der Waage reichen die Treppen hoch ins Fitnessstudio eigentlich als Training. Schuhe und Socken zu wechseln ist ohne fremde Hilfe kaum mehr möglich. Das Prinzip der progressiven Belastungssteigerung funktioniert an der Klimmzugmaschine, ohne dass ich an den Gewichten schrauben musste. Trotzdem habe ich bis zum 9. Monat TôsôX unterrichtet, bis 8 Tage vor der Geburt im Fitnessstudio Kraftausdauer trainiert und bin auch zur letzten Vorsorgeuntersuchung in der 38. Woche noch die 6 km mit dem Fahrrad gefahren - wenn auch nicht mehr ganz so schnell und unter Protest des Bauchbewohners, der sich wohl durch meine sicher komisch anmutenden Bewegungen eingeengt gefühlt hat.  Im Studio erntete ich überraschenderweise nicht nur Bewunderung: „Muss das sein, dass die so schwanger noch trainiert“ beschwerte sich ein Mitglied an der Theke – „Ähm ja, muss sein, woher sonst sollen mein Rumpf, mein Rücken und meine Beine die Kraft nehmen, um dieses zusätzliche Gewicht durch den Alltag zu stemmen?“ Die Blicke meiner Freihantelbereich-Mitbenutzer haben mich irgendwann richtig genervt. Aufgegeben habe ich letztendlich, weil ich einfach keine Hose und kein Shirt mehr hatte, die ich zum Training anziehen konnte. Ernsthaft brauchbare Sportbekleidung für Schwangere? Fehlanzeige! Bei H&M konnte ich im Sale günstig Yoga-Klamotten in Gr. L kaufen, das ging eine Weile ganz gut, am Ende hat das aber auch nicht mehr geholfen. 

Wer mich gefragt hat, ob es denn für das Baby ok wäre, jetzt noch zu trainieren, hat gerne eine Antwort bekommen. Fakt ist nämlich: als gut ausgebildete Trainerin mit vielen Jahren Erfahrung wusste ich zu jedem Zeitpunkt, was ich tat. Probleme wie Schlafstörungen oder Rückenschmerzen hatte ich auch in der 39. Schwangerschaftswoche noch nicht wirklich. Mal abgesehen davon, dass ich alle vier Stunden pinkeln musste (dank Beckenbodentraining  hatte aber ich darüber die Kontrolle und nicht meine Blase) und es keine Position mehr gab, in der ich gut sitzen oder liegen konnte. Aber hey, ich trage ein Kind mit mir rum, das übrigens eine sehr niedrige und ausgeglichene Herzfrequenz bei jedem CTG bewiesen hat – selbst im Kreißsaal noch. Sportlerpuls schon vor dem ersten Sport?
Eine Geburt ist eine Herausforderung. Ohne allzu tief ins Detail gehen zu wollen, ich war froh um jedes Quäntchen Kraft, um jedes bisschen Ausdauer, um jedes Gefühl für jeden einzelnen meiner Muskeln, um meine geschulte Atmung und um das Wissen, dass hinter dem Punkt, an dem man meint, es geht nicht mehr, immer noch Reserven liegen. Ob ich so selbstsicher und mutig in den Kreißsaal spaziert wäre, wenn ich die Grenzen aber auch die Fähigkeiten meines Körpers durch den Sport nicht schon vorher kennengelernt hätte, ist schwer zu beurteilen. Ob ich so unbeschadet und schnell da wieder rausgegangen wäre, wenn ich mich körperlich und mental nicht so „professionell“ darauf vorbereitet hätte, kann man natürlich auch nicht sagen. Von allen sportlichen Herausforderungen, denen ich mich bislang gestellt habe, war das jedenfalls die anstrengendste und ich bin froh, dass ich dafür so hart trainiert habe. Eine starke Beckenboden- und Rumpfmuskulatur führt also nicht dazu, dass man sich doppelt quälen muss (blödes Ammenmärchen und gern gesehene Ausrede trainingsfauler Frauen!), sondern hilft ungemein beim Pressen – und ich rede hier nicht von der „Arnold Press“.

Danach ist natürlich erst einmal Pause angesagt – körperlich gesehen die schlimmste Zeit, die ich je hatte. Wie kann man nur mit so schwachen Rückenmuskeln leben wollen? Nach vier Wochen hatte ich mein Ausgangsgewicht von vor der Schwangerschaft, aber gefühlt 20 kg Muskelmasse verloren. Alles tut weh. Zu Essen gibt es fast nur Kohlenhydrate, gesund Kochen ist mit einem Baby am Arm nun mal schwer. Die Lebkuchen sind in greifbarer Nähe und da es bereits 14 Uhr ist und ich immer noch nicht gefrühstückt habe, müssen sie dran glauben. Her damit, ich habe nur zwei Stunden geschlafen, ich habe Hunger, ich bin mit den Kräften am Ende, ich habe mir das jetzt verdient! Im Krankenhaus reicht man mir zum Transfett (= Margarine) auf ungetoastetem Toast, zur Marmelade, die nur nach Zucker schmeckt und zum Erdbeerjoghurt, über dessen Zuckeranteil sich die Darmpilze wohl am meisten freuen, eine Broschüre in die Hand zum Thema „Gesunde Ernährung in der Stillzeit“, wo über die Bedeutung von Nähr- und Ballaststoffen philosophiert wird – wollt ihr mich verarschen?

Sechs Wochen nach der Geburt dann die erlösende Freigabe der Ärztin, ab ins Studio, einmal den ganzen Körper wieder warm bekommen. Schon nach der ersten Trainingseinheit sind die Rückenschmerzen besser und es ergibt auch wieder mehr Sinn, sich auf die Suche nach den Proteinen im Essen zu machen – auch wenn das alles wirklich nicht so einfach ist, wie man sich das vorher vorstellt. „Meal prep“ bekommt eine ganz neue Bedeutung und ein paar gute Supplemente im Haus zu haben, war noch nie so wertvoll. Ein Eiweiß-Shake hält halt doch eine Weile satt. Noch vor der Geburt habe ich mich in einem Studio angemeldet, das ich mit den Öffentlichen gut erreichen kann (ich musste meinen Firmenwagen abgeben – nach 18 Jahren mit eigenem Fahrzeug warte ich also auf den Bus) und in dem es eine Kinderbetreuung gibt. Die nehmen die Babys schon mit sechs Wochen – super! Die Rechnung sollte man aber nicht ohne Berücksichtigung der Hormonsituation machen, die auf einmal so eine ganz andere ist „Ich kann mein armes, kleines Baby doch nicht schon einer Fremden überlassen!“ – Dem Baby scheint das egal zu sein, er schläft beim ersten Mal einfach auf seiner Decke bis ich mit dem Training fertig bin. Es wäre trotzdem gelogen, wenn ich behaupten würde, dass es kein absoluter Kraftakt ist, überhaupt erst an die Geräte zu kommen. Wenn das Kind zu lange und zu oft am Tag unterwegs ist, wird es irgendwann gereizt, also kommen schon mal nur die Tage in Frage, an denen kein Rückbildungskurs, Musikkindergarten, Babygruppe, Kinderarzt, Hebammen- oder sonstiger Besuch auf dem Programm steht. Einen Tag vorher rufe ich an und frage, ob für morgen ein Platz in der Kinderbetreuung frei ist. Um wie viel Uhr? Ich komm um 10! Ausgerechnet an diesem Tag würde der Kleine dann aber bis 9 schlafen, weil er die halbe Nacht eine Party gefeiert hat. So müde wie ich bin, wäre ich sonst niemals zum Training gegangen – das macht doch nach 3 Stunden Schlaf (und die nicht mal am Stück) eigentlich gar keinen Sinn. Pech, ich wecke das Baby um halb 8, Sport- und Wickeltasche habe ich schon am Abend zuvor gepackt. Los geht’s: Kind stillen, wickeln und anziehen – „oh bist Du schick heute“ – er kotzt sich an. Nochmal umziehen, mich umziehen, ich muss mal pinkeln – geht nicht, Kind kotzt auch den zweiten Pulli an, umziehen, rein in den Kinderwagen, er brüllt, wieder raus, nochmal Windel wechseln, jetzt hat er sicher gleich wieder Hunger, ab in den Wagen, dann brüllt er halt mal kurz, runter zum Bus, dieser kommt zu spät, U-Bahn-Anschluss versäumt. Oh nein, ich habe doch gesagt, ich komme um 10 – das wird eng, wo ist der verdammte Aufzug, mit dem man vom U-Bahn-Steig nach oben kommt? Endlich, Fitnessstudio erreicht. Aber was ist das? Vor dem Eingang zum Aufzug (das Studio liegt im dritten Stock) ist eine Treppe – ist mir nie so bewusst aufgefallen. Kind also die Treppe hochgetragen, Kind brüllt oben, weil Mama wieder weggeht, um auch den Kinderwagen hochzutragen. Wo sind die ganzen Pumper, wenn man sie braucht? Baby wieder in den Wagen, sich mit drei anderen Trainierfreudigen in den Aufzug gequetscht. Leute, dass es auch echt nicht zu peinlich ist, euch da mit reinzuquetschen, wenn ihr doch ins FITNESSSTUDIO wollt? Und oben stellt ihr euch dann auf den Crosstrainer, um euch aufzuwärmen? Oben angekommen erst mal rein in die Kinderbetreuung – „Darf ich hier irgendwo stillen? So, fertig. Könnte sein, dass er kotzt – ich entschuldige mich jetzt schon mal.“  Eine Stunde Training, das Baby schläft, ich muss ihn für die Heimreise wecken, die Geschichte geht wieder ganz genau so von vorne los. Damit ist ein dreiviertel Arbeitstag vergangen und ich habe zuhause noch nicht mal meine Sporttasche ausgeräumt, da wird schon wieder nach mir verlangt.

Ja, es ist anstrengend und ich schaffe es nicht mehr sechsmal die Woche zum Training. Aber ich bin ja jetzt auch jeden Tag eine Stunde mit dem Kinderwagen draußen und mache mir einen Spaß draus, andere Spaziergänger zu überholen, damit sie sehen, wie lahmarschig sie unterwegs sind. Und ich habe ein Baby, das am besten im Tragetuch schläft, Lunges und Squats sind dann die einzigen Möglichkeiten, um irgendetwas aufzuheben, wegzuwerfen oder abzuwischen. Da der kleine Wonneproppen zulegt wie ein Weltmeister  ist da wieder das Prinzip der progressiven Belastungssteigerung – wunderbar! Abgesehen davon schenkt mir das Stillen 500 kcal extra am Tag (zwei Lebkuchen sind also locker drin) und nein, Krafttraining führt nicht dazu, dass die Milch wegbleibt – um auch gleich mit dieser blödsinnigen Geschichte aufzuräumen!

Ach und hey Google, hier kommt was, was noch nicht mal Du weißt: Wenn man seinen Pectoralis ordentlich schrottet vor lauter Freude, dass man endlich wieder richtig Gewichte in die Hand nehmen darf, dann ist das, was am nächsten Tag Schmerzen macht, keine Mastitis! Der Druck kommt einfach nur von beiden Seiten und das tut eben weh. Deine Suchergebnisse, die Du mir zu den Begriffen „Brustmuskelkater“ und „Stillen“ auswirfst, kannst Du den Muddis auftischen, die 15 Jahre nach der Geburt ihres Kindes ihre überschüssigen Pfunde immer noch auf den Nachwuchs schieben, aber nicht einer „taffen Mudda“, die postpartal Pumpen geht!

Mittwoch, 8. Juni 2016

"Ein Bier kannst Du schon trinken. Aber das mit dem Sport würde ich lieber lassen!" - Das Problem mit der weltbesten Ausrede für einen ungesunden Lebensstil

Hier kommt mein Bericht über die erste Halbzeit - und nein, es geht ausnahmsweise nicht um Fußball, sondern um meine ganz persönlichen Erfahrungen aus den ersten 20 Schwangerschaftswochen...

Der Test

Du pinkelst auf dieses Plastikstäbchen und es erscheint ein dünner zweiter Streifen. Erster Gedanke: "Nö, der ist so dünn, das hat nichts zu bedeuten". Zwei Tage später zeigt Test Nummer zwei erneut dieses vermeintlich bedeutungslose Ergebnis. Die Antwort auf eine MMS an die beste Freundin, die zufällig vom Fach ist, bestätigt auch nicht gerade meine Vermutung, dass es sich hierbei um einen Irrtum handelt. Also gut, lass mal zum Arzt gehen demnächst!

Oh Shit, da war was!

Als ich das zweite Mal vor einem dünnen zweiten Streifen saß und mich wunderte, war Freitag vor dem Samstag, an dem ich meine Ausbildung zum deepWORK Instructor beginnen wollte. Freitag vor dem Mittwoch, an dem ich für fünf Tage mit lauter verrückten Trainer/-innen und Sportfreaks in den langersehnten "Boot-Camp-Urlaub" fahre, bei dem täglich mehrere Stunden Tôsô X (eine gaaaanz entspannte Sportart) und sonstige Workout-Gemeinheiten auf dem Programm stehen. Also gut, lass mal vielleicht doch gleich noch beim Arzt anrufen und fragen, ob was dagegen spricht, mit dem so geschätzt drei Wochen alten Zellkonstrukt im Bauch, aus dem später mal ein Kind werden soll (hab ich mal in der Schule gelernt) sechs Stunden am Tag rumzuspringen. "Nö, wenn sie das gewohnt sind, machen sie ruhig. Lassen Sie nur das Hüpfen weg und machen Sie Pause, wenn Sie sich unwohl fühlen." Aha!

Sport beginnt für mich eigentlich erst so richtig an dem Punkt, an dem ich merke, dass mein Körper jetzt gerne aufgeben würde. Der Punkt, an dem man ein "Unwohlsein" zur Seite schiebt und gegen den Widerstand weiterkämpft. Schließlich heißt es ja "magic happens outside of the comfort zone" und so! Das heißt also, ich muss ab sofort beim Warm-Up aufhören? Und was heißt überhaupt nicht hüpfen? Im Aerobic-Instructor-Fachjargon nennt man das "High-Impact" und meint damit jede Bewegung, bei der beide Füße kurzzeitig den Kontakt zum Boden verlieren. Das passiert mir auch, wenn ich schnell die Treppe runterlaufe. Ohje, muss ich ab sofort immer den Aufzug nehmen? Was, wenn es keinen gibt? Was passiert, wenn ich schnell über die Straße laufen muss, um nicht überfahren zu werden? Google ist bei Beantwortung dieser Fragen keine große Hilfe. Wer dort wissen will, ob man in der Frühschwangerschaft Sport machen darf, der findet heraus, dass man allein vom Gedanken daran schon sich, das Kind und die ganze Menschheit dem Untergang weiht. Morituri te salutant, all men must die... Oh nein, wir werden alle sterben und ich bin schuld!!!

Ich atme erst mal tief durch! Die deepWORK-Ausbildung war toll und die Sportreise ebenso. Ich hab dann eben ein bisschen öfter Pause gemacht. Was für ein blöder Zufall, dass es im Hotel einen wunderschönen Wellnessbereich gab. Die Ultraschall-Untersuchung eine Woche nach meiner Rückkehr hat bewiesen, dass auch ein dünner Streifen ein Streifen ist, aber alles so ist, wie es sein soll. Ein Fragezeichen weniger und so viele neue kommen auf einmal dazu...

Auf der Suche nach Antworten

Schnell musste ich feststellen, dass es schwierig ist, an wirklich empirisch belegte und zugleich konkrete Infos zum Thema Sport in der Schwangerschaft zu kommen. Es traut sich wohl (verständlicherweise?) keiner, einen groß angelegten Feldversuch zu machen. Mit Aussagen wie "Du darfst schon weitermachen, aber nur solange Du es nicht übertreibst" kann man nicht allzu viel anfangen, wenn man Sport ein wenig weiter definiert als zwei Mal im Monat mit Nordic-Walking-Stöcken in der Hand zur Konditorei zu gehen. Meine erste wirklich große Hilfe bei der Suche nach Antworten war der Arbeitskreis Sport und Schwangerschaft der Deutschen Sporthochschule Köln: http://www.dshs-koeln.de/psi/sus/. Neben einer ganz brauchbaren Literatur- und Linkliste kann man sich dort auch individuell beraten lassen. Man schreibt eine E-Mail, beschreibt darin sein aktuelles Training und bekommt wirklich gute Tipps dazu, worauf man in welcher Phase der Schwangerschaft achten sollte. Das war zumindest mal ein Anfang und ein großer Fortschritt im Vergleich zu den sich gänzlich widersprechenden Aussagen aus Frauenzeitschriften und sonstigen tollen Ratgebern.
 
Mein grundlegendes Verständnis eines gesunden Körpers basiert darauf, dass dieser Körper (neben einem gesunden Geist - aber das ist ein anderes Thema) Nährstoffe und Bewegung braucht. Mein grundlegendes Verständnis einer Schwangerschaft sagt mir, dass ich meinem ungeborenen Kind als Haus für seine ersten neuneinhalb Monate einen möglichst gesunden Körper zur Verfügung stellen soll, in dem es sich ganz auf seine Entwicklung konzentrieren kann. Daraus leite ich ganz naiv die Hypothese ab, dass ich nicht ausgerechnet jetzt damit aufhören sollte, mich gesund zu ernähren und Sport zu treiben.

Wie trainiere ich?

Mein Krafttraining habe ich also komplett auf Kraftausdauer umgestellt (ganz einfach gesagt: 3 x 20 Wiederholungen mit verhältnismäßig wenig Gewicht), wobei ich versuche, überwiegend komplexere Ganzkörperübungen und bevorzugt Übungen im Stehen (statt Sitzen oder Liegen) einzubauen. Warum? Weil ich mir einbilde, dass es wohl besser ist, den ganzen Körper zur Durchblutung und damit zur optimierten Sauerstoffversorgung anzuregen, als durch zu isoliertes Training den Blutfluss lokal zu verstärken und dafür eventuell anderswo temporär einbüßen zu müssen. Ob das medizinisch belegbar ist, müssen diejenigen herausfinden, die sich damit auskennen. Ich persönlich fühle mich damit einfach besser. Die geraden Bauchmuskeln lasse ich aktuell natürlich soweit es geht außen vor. Eine Rektusdiastase will ich nicht riskieren (http://www.netdoktor.de/krankheiten/rektusdiastase/). Auch übermäßige Belastungen des Iliopsoas versuche ich zu vermeiden, da ich die Gefahr von myofaszialen Beschwerden und Disfunktionen möglichst gering halten will. Bei mir haben Übungen, die die innere Hüftmuskulatur stark beanspruchen, schon früher Regelschmerzen verstärkt und Stress auf das Iliosacralgelenk ausgeübt. Ich nehme an, das liegt daran, dass die Muskeln, Faszien und Bänder in dieser Region einfach gerade mit anderen Dingen beschäftigt sind als mit Squats. Dafür arbeite ich nun noch gezielter an der Stärkung meiner Rückenmuskulatur. Bislang hat es sich gelohnt: Noch habe ich nicht ansatzweise etwas gespürt von den Beschwerden, die mir in sämtlichen schlauen Ratgeber-Heftchen spätestens ab Beginn des zweiten Trimenons in Aussicht gestellt wurden.

Was Tôsô X, deepWORK & Co. angeht, ist mein Motto weiterhin "Rock 'n' Roll". Die Anzahl und Dauer der kleinen Pausen zwischendurch hat nur etwas zugenommen. Erstens, weil ich einfach mittlerweile merke, dass mir das Atmen nicht mehr ganz so leicht fällt und sich das auch auf meine Kondition auswirkt. Und zweitens, weil es jetzt gerade nicht darum geht, Höchstleistungen zu liefern, sondern einfach nur darum, eine gute Zeit zu haben und den Alltags-Ärger mal auszublenden. Mein Körper und meine Seele brauchen das. Meine Kursteilnehmer/innen finden meine Version von Schwangerschaftsgymnastik alles andere als entspannend. Aber da haben sie Pech! So lange es geht, mache ich weiter. Anfangs habe ich mit einem Pulsgurt versucht, mich im Zaum zu halten. Das hat mich noch mehr gestresst als mein hoher Puls. Ich habe von Haus aus leicht mal eine Herzfrequenz von 170 bpm und mehr. Ich erhole mich aber genauso schnell wieder und mein subjektives Empfinden, auf das man ja immer ausweicht, wenn man sich zu keiner eindeutigen Aussage hinreißen lassen will, sagt, dass es ok ist so. Was zählt mehr? Der Puls oder die gute alte "Du musst dich noch unterhalten können"-Regel? Ich kann mich jedenfalls mit meinen Leuten im Kurs noch unterhalten bzw. sie dezent darauf hinweisen, dass noch acht Wiederholungen zu absolvieren sind. Nahtod sieht wohl ander aus?!

Beim Laufen habe ich den Dreh noch nicht heraus. Man soll in der Schwangerschaft darauf achten, zwischendurch den "Beckenboden mitschwingen" zu lassen, habe ich gelesen? Keine Ahnung, was das bedeuten soll. Lockerlassen? Mein größtes Problem am Joggen ist, dass mich spätestens fünf Minuten nachdem ich das Haus verlassen habe, die Blase drückt. Wenn ich dann noch den Beckenboden locker lassen soll, würde das bedeuten, dass ich mir schon nach den ersten paar Metern in die Hose pinkeln würde. Auch blöd irgendwie. Vielleicht lasse ich es auch einfach, fange nächstes Jahr mit den ersten Sonnenstrahlen wieder an und schieb den Kinderwagen dabei vor mir her.

Bester Tipp aus einem der schlauen Ratgeber: "Sie sollten jetzt darüber nachdenken, einen Sport-BH zu tragen". Aha! Bislang war der also völlig überflüssig? Gut zu wissen... Mädels, macht euch frei, werft die BHs weg, vor dem 6. Schwangerschaftsmonat braucht ihr sowas nicht!

Wie esse ich?

Lassen wir mal die ersten Monate außen vor, in denen ich mit Übelkeit zu kämpfen hatte und froh war, wenn ich ein paar Nudeln mit Soße oder Wienerwürtstl runter gebracht hab. Ich esse wie sonst auch: wenn möglich mit Genuss. Genuss heißt in meiner Definition aber auch, das Gefühl zu haben, etwas Gutes für mich und meinen Körper zu tun. Wenn man wirklich "ist was man isst", möchte ich keine ekelhafte Kombination aus Transfetten, Zucker und Geschmacksverstärkern sein. Natürlich esse ich Schokolade, auch als Brotaufstrich, und wenn es blöd läuft auch mal mit dem Löffel. Über die Jahre habe ich mir aber den Geschmack des pappsüßen Marktführers abgewöhnt und greife mittlerweile freiwillig zu Varianten aus Rohrohrzucker mit hohem Kakaoanteil. Kuchen und sonstiges Süßgebäck? Bitte gerne und zwar möglichst viel davon! Aber auch hier tun Vollkornmehl, Rohrzucker und naturbelassene Zutaten dem Geschmack definitiv keinen unvertretbaren Abbruch.

Und ja, ich esse für zwei. Das heißt, es geht nicht mehr nur um meinen persönlichen Genuss, sondern auch darum, mein Kind möglichst mit dem Besten zu versorgen, was ich bekommen kann. Die paar Kilokalorien, die ich nun zusätzlich brauche, stecken in einer halben Scheibe Brot mit Käse. Daher ist die Nährstoffzusammensetzung meiner Nahrung jetzt das wichtigere Kriterium, nicht die Menge. Lebensmittel, bei denen man Chemie studiert haben muss, um zu verstehen, was drin ist, reduziere ich so weit es geht. Darunter fallen auch viele Supplemente, sodass ich nun einmal mehr versuche, meinen Eiweiß- und Vitamin-Input über möglichst frische und wenig verarbeitete Nahrungsmittel statt über Shakes und Pillen sicherzustellen. Auch auf hochwertige Öle und Fette achte ich noch mehr und baue möglichst oft Avocados, Fisch, Leinöl, Nüsse usw. in mein Essen ein. Spargel und Erdbeeren helfen, überflüssiges Wasser loszuwerden und Obst brauche ich sowieso schon morgens zum Frühstück. In Tablettenform führe ich lediglich Folsäure (weil ich den Medizinern glaube, dass es wichtig ist), phasenweise Eisen (weil das schon immer meine Schwachstelle war) und Magnesium zu (weil es mir ebenfalls von meiner Ärztin empfohlen wurde und es mir einfach gut tut). Der Kohlenhydratanteil meiner Nahrung ist wahrscheinlich gerade etwas höher als sonst. Manchmal ist es einfach leichter, Carbs zu essen. Vor allem wenn es schnell gehen muss und zwischen zwei Terminen auf einmal der Unterzucker-Schwindel droht, bevorzuge ich es jetzt, an einem meiner Not-Müsli-Riegel aus dem Handschuhfach zu knabbern, während ich früher eher gewartet hätte (und warten hätte können), bis ich etwas "Ordentliches" bekomme. Ob die Kohlenhydrate nun gegen die Kreislaufbeschwerden helfen oder die Unterzuckerphasen durch die höhere Kohlenhydratzufuhr mit bedingt werden, kann ich schwer sagen. Ich versuche zumindest, die Qualität der Kohlenhydrate möglichst hoch zu halten und statt auf zuckersüße Weißmehlkekse auf Vollkornprodukte, Obst oder Kartoffeln zurückzugreifen.

Über die Hälfte aller Schwangeren leidet angeblich unter Blähungen, Darmträgheit und Verstopfung. Der Druck des wachsenden Uterus auf den Darmausgang sowie die hormonelle Umstellung sollen die Verarbeitung von Nahrungsmitteln im Verdauungstrakt verlangsamen. Vielleicht leidet der Darm mancher Schwangerer aber auch darunter, dass sie auf einmal vermehrt Dinge essen, die ihn einfach nur langweilen? Ballastoffe sollten helfen! Mein selbstgemischtes Müsli enthält jedenfalls neben Vollkornflocken und Körnern auch ein paar Chiasamen, Leinsamen und Flohsamenschalen. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist dabei natürlich essentiell. Mehr kann ich dazu zum Glück (noch?) nicht sagen.

Ich denke, dass das übermäßige Verlangen nach ungesunden Lebensmitteln oft erst durch eine nährstoffarme Ernährungsweise hervorgerufen wird. So vermutet man zum Beispiel hinter der Extremform dieses Phänomens, dem sogenannten Pica-Syndrom (https://de.wikipedia.org/wiki/Pica-Syndrom) während der Schwangerschaft häufig einen unbehandelten Eisenmangel. Teufelskreis! Aber ja, natürlich esse auch ich Eis, Pizza, Apfelstrudel, Schokoriesen und Burger. Was wäre es für ein Leben ohne all diese wunderbaren Dinge? Und ja, natürlich würde ich diesen Gelüsten gern jeden Tag nachgeben wollen. Ich versuche mich damit zu trösten, dass all diese Dinge noch viel besser schmecken, wenn man sie nicht immer hat. Der Rest ist eiserne Disziplin - schwanger oder nicht.

Ein Bier ist ok, Du musst mehr essen, das mit dem Sport würde ich lieber lassen, blabla...

Bevor jetzt gleich die Hasstiraden ausgepackt werden: Es geht hier nur um meine persönlichen Erfahrungen und meine subjektive Meinung. Mein Körper, meine Entscheidung. Ich habe das Glück, dass es mir die letzten Monate weitestgehend gut ging und ich die Entscheidungen darüber, was ich esse und wie ich mich bewege ohne große Einschränkungen für mich selbst treffen konnte. Vielleicht ist der Zusammenhang aber auch umgekehrt und es geht es mir mitunter wegen meiner Lebenseinstellung auch in dieser für den Körper anstrengenden Zeit verhältnismäßig gut. Ich würde mir diesbezüglich nie ernsthaft ein Urteil erlauben, weil mir einfach die Belege fehlen. Ich für mich befolge die Regel: "Wenn es der Mutter gut geht, geht es dem Kind gut". Und mir geht es eben gut, wenn ich mich bewege und gesund ernähre. Jede muss für sich selbst entscheiden, womit sie sich gut fühlt und natürlich gibt es Kontraindikationen, die vor allem gegen Sport sprechen und absolut ihre Daseinsberechtigung haben. Zum Glück gibt es Ärzte/-innen und Hebammen, die einen in solchen Fällen professionell beraten können. Aber bitte, bitte, bitte, ihr selbsternannten Experten und Expertinnen, lasst mich mit euren unhinterfragten Ratschlägen und Stammtischweisheiten in Ruhe! Ihr habt persönliche Erfahrungen gemacht, euch intensiv mit dem einen oder anderen Thema beschäftigt? Wunderbar, dann lasst uns darüber diskutieren. Aber auf ein "Das war schon immer so.", "Ich weiß nicht warum, aber ich glaube, es ist nicht gut!" oder "Das hab ich mal irgendwo gelesen." habe ich einfach keine Lust. Ich sehe keinen Grund dafür, in der Schwangerschaft Alkohol zu trinken und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es für ein Kind tatsächlich besser ist, mit Nikotin vergiftet zu werden, anstatt an angeblichen "Entzugserscheinungen" zu leiden. Witzig, dass sich solche Empfehlungen nach wie vor genau so hartnäckig halten wie die Vorstellung, sich schonen zu müssen, bedeute gleichzeitig sich auf seinen Hintern zu setzen und neun Monate nicht mehr aufzustehen. Die armen Bandscheiben! Ich würde umgekehrt auch niemandem vorschreiben, sich für Sport und gesunde Ernährung in der Schwangerschaft zu entscheiden. Ich kann nur aus meiner persönlichen Perspektive berichten, dass es mir bislang dabei geholfen hat, mit der ein oder anderen unangenehmen "Nebenwirkung" klarzukommen. Gerade in den ersten drei Monaten hatte ich mit Übelkeit, Kopfschmerzen und extrem niedrigem Blutdruck zu kämpfen, der es mir gefühlt schier unmöglich gemacht hat, mich zu bewegen. Sport (natürlich in komplett entschärfter "Der-Weg-ist-das-Ziel-Version") hat am Ende immer geholfen, auch wenn es mir nie zuvor schwerer fiel, mich aufzuraffen.

Das ewige Dilemma mit den Ausreden

Fakt ist: Es gibt immer eine Ausrede, warum man sich nicht gesund ernähren und mehr bewegen kann. Eine Schwangerschaft ist offenbar eine so gute, dass wir sogar rechtlich verpflichtet sind, betroffenen Damen ein Sonderkündigungsrecht bei ihren Fitnessstudiomitgliedschaften einzuräumen. Aber Ladies und Mütter der Nation, wollt ihr nicht irgendwann wieder damit anfangen, fit zu werden? Schließlich sind wir doch hoffentlich "nur" schwanger und nicht für den Rest unseres Lebens todkrank! Ich habe aber den Eindruck, dass man sich mit diesen Argument noch ganz gut in Sachen Sport und Ernährung auf die faule Haut legen darf und sich die gesellschaftliche Ächtung in Grenzen hält. Fluch und Segen zugleich?

Ich will auch gar kein Foto von Dir!

Nein, die meisten von uns sind keine Top-Model-Mums und von sich oder anderen zu erwarten, dass man drei Wochen nach der Geburt eines Kindes aussieht, wie wenn nie was gewesen wäre, ist Bullshit. Zum Glück gibt es auch Frauen in der Öffentlichkeit, die sich genau von diesen Zwängen distanzieren. Erst kürzlich hat Dr. Christine Theiss auf ihrer Facebook-Seite einen Artikel der Bunten kommentiert, in dem man sie für ihre Topfigur so kurz nach der Schwangerschaft gelobt hat: "Ich will nicht, dass sich andere Mütter wegen solcher Bilder unter Druck gesetzt fühlen. Ja, es gibt Übungen und Tricks, die Euch dabei helfen, fit durch die Schwangerschaft zu kommen und danach schneller zur alten Figur zurückzukehren. Aber jeder Körper hat seinen eigenen Rhythmus und eigene Voraussetzungen. Natürlich wäre es toll, wenn sich alle Mamas in ihrem Körper wohlfühlen. Aber sie selbst sollen den Zeitrahmen vorgeben und nicht die Meinungen von außen. Druck bewirkt oft nur das Gegenteil. Mamas, macht Euch nicht verrückt". Große Worte einer großen Sportlerin! Und ich gebe ihr in allen Punkten recht: Ist das wichtigste am Training und an der ausgewogenen Ernährung vor (und nach?) der Geburt nicht die Tatsache, dass man sich in seinem Körper einfach wohler fühlt und man allgemein belastungsresistenter ist, wenn man sich fit und gesund hält? Schade, dass die sozialen Erwartungen sich teils so sehr auf Äußerlichkeiten konzentrieren und vor allem durch die Medien oft ein ungesunder und völlig unnützer Druck aufgebaut wird - auf prominente wie nicht prominente Mütter. Und ich bin fest davon überzeugt, dass es den Zwergen gänzlich egal sein wird, ob Mama fünf Kilo mehr oder weniger mit sich rumträgt, solange sie sich gut fühlt.


Ich glaube trotzdem, dass mir eine gewisse Grundfitness bei der Geburt und in der Zeit danach helfen wird. Sollte sich das am Ende alles als völlig irrelevant herausstellen, dann ist es auch egal, denn auf dem Weg dahin hat es mir ein wenig von der Angst genommen und mir ein stärkeres Vertrauen in meinen Körper gegeben. Denn beim Sport habe ich gelernt, dass mein Limit weit höher liegt, als ich mir je zugetraut hätte. Immerhin habe ich die Kämpfe gegen die eigenen Willens-, Kraft- und Leistungsgrenzen, gegen den Schmerz und den Wunsch aufzugeben, am Ende immer überlebt und bin an jeder dieser Erfahrungen ein kleines Stück gewachsen. Challenge accepted, frühestens in 20 Wochen kann ich wirklich beurteilen, was die bislang schwerste körperliche Herausforderung meines Lebens war. Wenn ich dann noch Zeit für so etwas habe, werde ich berichten. Ich muss jetzt dringend ein paar Eisen biegen gehen! Over and out.

Mittwoch, 14. Oktober 2015

"Fressen bis der Arzt kommt vs. Hungern für die Arterhaltung" - Kommt nicht am Ende dann doch wieder nur Scheiß dabei raus?



In letzter Zeit war es sehr ruhig in meinem Block …äh in meinem Blog. Leider hatte ich keine Zeit dazu, irgendetwas zu schreiben. Ich war damit beschäftigt war, jede einzelne zu mir genommene Kalorie aufzuzeichnen und tiefenpsychologisch zu analysieren. Das macht man doch so heutzutage, oder? „Christiane hat heute bereits 250 kcal eingespart und genug Ballaststoffe gegessen, um morgen gesunden Stuhlgang zu haben. Folge ihr auf Speckbook und hilf ihr dabei, motiviert zu bleiben!“ Die wenige Zeit, die mir dann noch blieb, habe ich damit verbracht, Diätbücher und Ernährungsblogs zu lesen, mich in Foren mit anderen Abnehmwilligen auszustauschen oder sogar im realen Leben Menschen zu treffen, mit denen ich auf professioneller Ebene Fachwissen diskutieren konnte.

Ketogen, anabol und HCG – glaube keiner Diät, an der Du nicht selbst gescheitert bist!

Hier kommt ein kleiner Auszug meiner Selbstversuche, die ich hier selbst zu vergleichen versuchen werde: Während ich schon vor einer ganzen Weile erst die ketogene und dann die anabole Diät getestet habe, war mein diesjähriges Projekt auf dem Weg zum nachhaltigen Stoffwechselschaden die sogenannte HCG-Diät. Worum geht’s? Experten mögen mir verzeihen, dass ich der Übersichtlichkeit halber die jeweiligen Konzepte mit ein paar wenigen Sätzen zusammenfasse, wohlwissend, dass alles viel komplexer ist, als dass man es überhaupt in Worte fassen könnte.
Die ketogene Diät ist laut Wikipedia „eine kohlenhydratlimitierte, protein- und energiebilanzierte und deshalb fettreiche Form der diätetischen Ernährung, die den Hungerstoffwechsel in bestimmten Aspekten imitiert. In dieser Ernährungsform bezieht der Körper seinen Energiebedarf nicht mehr aus Fett und Glukose, sondern nur noch aus Fett und daraus im Körper aufgebautem Glukoseersatz, den namensgebenden Ketonkörpern.“ Das heißt: Du schraubst die Kohlenhydratzufuhr auf das absolut unvermeidbare Minimum herunter und versuchst den Körper so zu zwingen, sich seine Energie nahezu ausschließlich über den Fettstoffwechsel zu ziehen. Das klingt erst einmal recht einfach, aber wenn man bedenkt, dass auch viele Gemüsesorten bereits geringe aber unter Umständen relevante Kohlenhydratmengen enthalten, muss man bei dieser Form der Ernährung definitiv ein großer Fan tierischer Produkte sein. Auch Nüsse und Öle sind erlaubt.
Tag eins meiner Umstellung auf die ketogene Ernährung war von einer großen Prüfung geprägt: Geburtstag einer Kollegin und es stehen drei Blech Kuchen in der Teamküche. Da man mich kennt, fragt man mich im 10-Minuten-Takt, warum ich mir denn noch nichts geholt hätte und ob man mir was mitbringen soll. Puh… Tough Shit! Die nächsten Wochen verlaufen ähnlich. Schon schnell stellt sich heraus, dass viele Menschen offenbar absolut keine Ahnung davon haben, was Kohlenhydrate sind. Selbst die Köchin der Firmenkantine ist ganz enttäuscht, weil sie mir vor lauter Freude darüber, meine neuen Gewohnheiten endlich verstanden zu haben eine indische Reispfanne anbieten will und ich ihr sagen muss, dass Reis leider auch nicht drin ist. Also nehme ich nur das indisch gewürzte Fleisch – ohne Reis und ohne Soße. Die Arme hat es genauso gut gemeint wie meine Mutter, die glaubt, dass ein paar Toffifee  noch niemandem geschadet haben. Ein Stück: 4,8 g Kohlenhydrate. Bei einer maximal empfohlenen Kohlenhydratzufuhr von 30 g am Tag knallt das ganz schön rein, wenn man bedenkt, dass auch die Milch im Kaffee und der Fruchtzucker in der halben Paprikaschote ähnliche Werte mit sich bringt. Auch wenn ich festgestellt habe, dass ich glücklicherweise bis zu 60 Gramm Carbs vertrage ohne aus dem ketogenen Stoffwechsel zu fallen, habe ich dann lieber verzichtet. Woher ich das mit den 60 Gramm weiß? Na logisch: ich habe mehrmals täglich auf einen Streifen gepinkelt, wie das Kranke …äähhh... Ernährungsexperten eben so tun. Ketostix, mein Freund und Helfer! 

Das Verständnis in meinem „normal gebliebenen“ Umfeld für meine Ernährungsform hat sich genauso schnell  verabschiedet wie mein Bedürfnis nach Süßigkeiten. 1:0 für die ketogene Diät, aber auch völlig wurscht, mit mir will sich eh keiner mehr zu Kaffee und Kuchen treffen, das ist viel zu kompliziert und macht keinen Spaß, weil man sich nicht versteht. Dann lieber alleine an der Wurscht knabbern und das acht Mal am Tag. Nach mehreren Wochen diszipliniertem Kohlenhydratverzicht muss ich feststellen, dass ich zugenommen habe. Im Nachhinein betrachtet völlig logisch. So habe ich vor lauter „Esse so viel Fett wie du kannst“ vergessen, dass es am Ende doch auf die Gesamtbilanz ankommt und so ein Tütchen Macadamias zwischendurch eben schon mal ein Drittel meines Tagesbedarfs ausmacht. Wenn man die Nüsse noch mit Butter bestreicht, um ja sicherzustellen, dass alles klar ist auf dem Keto-Pipi-Streifen wird das nicht besser. Fairerweise muss man aber auch zugeben, dass sich neben dem vergessenen Bedürfnis nach Süßem auch noch ein paar andere positive Effekte gezeigt haben: Die Umstellung fiel mir persönlich erstaunlich leicht, eine „Atkins-Grippe“ hatte ich maximal für ein paar Stunden am dritten Tag nach Beginn der Diät. Dagegen waren die Unterzucker-Symptome, die mich sonst auf dem Weg von der Arbeit nach Hause schwindlig gemacht haben, verschwunden. Ich konnte auch eine Stunde Joggen oder ein hartes Krafttraining durchziehen, selbst wenn ich seit einem halben Tag nichts mehr gegessen hatte und vor allem ging die Energie dabei nie aus. Faszinierend! Darüber hinaus kein einziges Mal Migräne, ein Zyklus wie ein Uhrwerk, PMS wurde zum Fremdwort und ich habe noch nie in meinem Leben ein Frühjahr mit so wenig Allergietabletten überlebt wie zu Keto-Zeiten. Zufall oder Diäterfolg? Vielleicht mitunter auch die Tatsache, dass man sich bei so strengen Diäten angewöhnt, hochwertig und sauber zu essen. Kein künstliches Glutamat, keine Transfette,  kein Alkohol.

Was mir gefehlt hat, war erstens Obst. Nicht der Kuchen, der Süßkram oder sonstiges Junkfood ließen mich bei dem Gedanken, dass ich sie links oder rechts liegen lassen muss den Tränen nahekommen. Auch Nudeln und Pizza lassen mich bis heute noch kälter als ich es mir je zuvor hätte vorstellen können. Aber Mangos, Ananas, Bananen und das alles am liebsten in einer riesengroßen Schüssel vereint, etwas Honig oben drauf – es geht einfach nicht ohne. Zweiter Punkt: Brot, Semmeln und Brezen. Wobei ich dann festgestellt habe, dass ich eigentlich nur das Brot wirklich noch mag und auch nur dann, wenn zumindest ein paar Körnchen drin sind. Nach längerer Abstinenz schmeckt eine Breze irgendwie nur nach Pappe. Überwiegend dem Obst zuliebe habe ich in die anabole Diät gewechselt, bei der „Cheat Days“ erlaubt sind, von denen ich mir auch erhofft habe, wieder an einem halbwegs normalen Sozialleben partizipieren zu können. „Kennzeichnend für die anabole Diät ist eine sehr geringe Zufuhr an Kohlenhydraten, gleichzeitig sollte zum Muskelschutz eine hohe Eiweißzufuhr gewährleistet sein. Die anabole Diät wurde durch ihren einzigartigen Wechsel an “sauberen“ und “Refeed“ Tagen speziell für die Bedürfnisse eines Bodybuilders entwickelt. Der typische anabole Diät Ernährungsplan verfolgt das Ziel, die Muskelmasse zu erhalten bzw. zu steigern, während gleichzeitig massiv Fett aus den Depots verbrannt werden, ein guter Deal für jeden ernsthaft trainierenden Bodybuilder“ schreibt es Sportnahrung Engel auf der eigenen Homepage und schafft es damit bei Google ganz nach oben. Mein kurzes Resümee: Das funktioniert! Wer Masse aufbauen und dabei die Vorteile einer kohlenhydratreduzierten Diät mitnehmen will, kann das ja mal für sich testen. Ich habe es dann irgendwann bleiben lassen, weil ich morgens einfach zu gern Müsli mit Obst esse (und das nicht nur an ein bis zwei Tagen die Woche) und weil ich ganz geschlechtstypisch keinen Bock auf Masse habe – auch wenn ein Großteil davon vielleicht Muskeln ist.

Also heißt es unterm Strich Fressen bis der Arzt kommt und über die hohen Blutfettwerte schimpft, die man angeblich mit einer solchen Ernährungsweise provoziert? Ich habe sowohl während der mehrmonatigen Phasen, in der ich mich erst streng ketogen und dann nach den Regeln der anabolen Diät ernährt habe keinerlei negative Auswirkungen auf mein Blutbild feststellen können. Ob ich in zehn Jahren an einer Spätfolge sterbe, wird sich zeigen. Wir lesen uns im Oktober 2025 oder eben nicht. Häufigster Kritikpunkt, mit dem ich konfrontiert wurde war: „man braucht doch Kohlenhydrate, um zu überleben“. Ja, die braucht man, aber dazu muss man sie nicht von außen zuführen. Das bisschen Zucker, das der Körper braucht, um das Gehirn am Leben zu erhalten, synthetisiert er sich aus Proteinen, abgesehen davon, dass ja  wie bereits beschrieben in vielen Gemüsesorten und auch in Milchprodukten geringe Mengen enthalten sind. Keine Sorge, ein so großes Hirn hat keiner, dass er da Angst ums Überleben haben müsste. Gänzlich ekelhaft wird es für mich dann, wenn ich so manchem Bodybuilder bei seinem „Cheatday“ zusehe, wie er schon zum Frühstück Pizza, Burger und Kuchen in sich hineinstopft, um dann spätestens mittags mit Schnitzel und Pommes nachzulegen. Das erinnert mich ein wenig an die Mast von Tieren und auch wenn das wahrscheinlich in vielen Fällen sogar das erklärte Ziel ist, frage ich mich, wo wir da noch „Mensch“ sind und wie viel Genuss hinter dem Essen steht. Ich pauschalisiere ganz unfair und unterstelle einfach mal jedem, der an den Ladetagen nur Rotz in sich reinfrisst, dass er die Bedürfnisse seines Körpers und das, wozu dieser fähig ist, grundsätzlich nicht verstanden hat.

Nun ja, jetzt waren da die Muskeln und die Masse, ein neues Verständnis  für Essen und die Angewohnheit, Lebensmittel so hochwertig und rein wie möglich zu mir zu nehmen. Mein erstes lang ersehntes Käsebrot habe ich erst genossen, als ich den Käse und das Brot jeweils extra gegessen habe. Jedes Lebensmittel für sich schmeckt so gut, dass es in Kombination nur verliert. Für mich ein großer Gewinn. Mein eigentliches Ziel war aber doch, dünner zu werden. Fail! Aber egal, ich war gesund, hatte viel gelernt und eben nach wie vor ein paar Kilo mehr als ich gerne hätte. Zu dieser Zeit begegneten mir die ersten Menschen, die ich sehr lange kannte und zwar immer so, wie sie eben waren. Oft auch Sportler, die trotz regelmäßigen Trainings und bewusster Ernährung hier und da ein kleines Pölsterchen mit sich herumtrugen. Auf einmal waren sie mager, hatten eingefallene Augen und erzählten mir, dass sie nun endlich ihren Stoffwechsel neu programmiert haben und sich besser fühlten als je zuvor. Aha… Also bei einer Sache bin ich mir absolut sicher: Diäten können Narben im Stoffwechsel hinterlassen und es ist eben nicht ganz so einfach wie es oft propagiert wird, dass eine negative Energiebilanz zu Gewichtsverlust führt. Ich habe sogar festgestellt, dass die Kombination aus hartem Training und wenig Essen bei mir relativ schnell zu Speckpolstern führt. Ist doch klar, mein Körper denkt sich „Verdammt, was geht da denn? Super Stress und dann auch noch wenig zu essen! Da muss ich mir mal ein paar Vorräte anlegen, damit ich nächstes Mal besser klar komm, wenn das passiert!“ Habe ich gut gemacht mit dem Stress auf meinen Körper. Abnehmen: Fehlanzeige!

Da ist sie nun, die eierlegende Wollmilchsau, die all diese Stoffwechselnarben ins Nichts auflöst: HCG! Die Ursprünge dieser Diät, die öffentlichkeitswirksam als das nun endlich gelüftete Geheimnis der Hollywood-Schönheiten verkauft wird, liegen schon ein paar Jahre zurück: „Schon 1954 hat der englische Arzt Dr. Albert Simeons eine umstrittene Abnehmmethode mit dem Hormon entwickelt: Die Abnehmwilligen reduzierten ihre tägliche Energiezufuhr auf maximal 500 Kilokalorien. Zum Verständnis: Eine durchschnittliche Frau braucht am Tag rund 1900 Kilokalorien, ein Mann etwa 2400 Kilokalorien – die tatsächlichen Werte sind natürlich immer abhängig von Gewicht, Größe und körperlicher Aktivität und können damit auch höher ausfallen. Um angeblich ganz spezielle Fettdepots abzubauen, spritzte der Arzt den Diät-Treibenden während der Hungerzeit praktisch jeden Tag eine bestimmte Dosis HCG.“ schreibt Sophie Kelm in der Apothekenumschau vom  28.07.2014. Wie bitte? Man soll sich also Schwangerschaftshormone spritzen lassen, um eine körpereigene Genialität auszunutzen, die werdenden Müttern hilft, ihre Kinder auch bei kalorischer Unterversorgung ausreichend ernähren zu können? Dass da viele Menschen skeptisch werden, ist klar. Also denkt sich die Industrie etwas Neues aus: ein Globuli, das so tut, als wäre es HCG, ähnliche Wirkung zeigt und damit der absolute Schlüssel zum Diäterfolg ist. Nur 21 Tage strenge Diät und schon sind alle Stoffwechselschäden wegradiert. Hurra! Natürlich muss man um die Nährstoffunterversorgung zu kompensieren ein paar Supplemente zu sich nehmen, die man (Überraschung!) auch gleich beim Ernährungsberater des Vertrauens zum top Preis von irgendwas um die 300 € mit dazu bekommt. Naja, wirtschaftlich gesehen eine tolle Gelegenheit für bisher nur minder erfolgreiche Heilpraktiker und selbsternannte Lifecoaches, um per Schneeballsystem endlich mal ein bisschen Geld zu verdienen.

Ich habe mich lange geweigert, da mitzumachen. Am Ende überwogen die Neugier, was wirklich dahinter steckt und das nach wie vor in mir schwelende krankhafte Gefühl, vielleicht doch zu dick zu sein. Man mag aus meinen Worten vielleicht schon herauslesen, dass ich nicht zu den Verfechtern dieses HCG-Hypes gehöre. Die Gesundheits- und Lebensberater, die sich angegriffen fühlen, unterstellen mir jetzt sicherlich, dass es allein deswegen nicht funktioniert hat, weil ich von Anfang an dagegen war und so. Und überhaupt habe ich das alles nicht richtig verstanden und total viele Fehler dabei gemacht. Mag sein. Ich bin aber jemand, der etwas entweder macht oder nicht. Das heißt, ich bin auch an dieses Projekt ambitioniert herangegangen. Was ich nicht gemacht habe: Jemandem 300 € dafür bezahlt, dass er mir ein vorgefertigtes Konzept samt Supplemente in einer Schachtel überreicht und mir zu meinem neuen Leben mit einem neu programmierten Stoffwechsel beglückwünscht. Ich habe mich in die grundsätzliche Theorie eingelesen, die hinter dem Konzept steht und sämtliche Anwendungsempfehlungen studiert, die der deutschsprachige und der amerikanische Markt zu diesem Thema zu bieten haben. Ich habe mir Globuli und Nahrungsergänzungsmittel gemäß Empfehlung gekauft (wenn auch teilweise von anderen Herstellern) und einen Ernährungsplan aufgestellt. 21 Tage Diät, 21 Tage Stabilisierungsphase und danach der langsame und schrittweise Weg zurück zu einem normalen Alltag. Ich mache es kurz: Meinem Körper fehlen wohl die Rezeptoren für dieses homöopathische Informations-Gedöns, das angeblich dafür sorgt, dass ich trotz nur 500 kcal am Tag keinen Hunger verspüre und glücklich und zufrieden durch den Alltag springen kann wie ein junges Pony, das im Frühling zum ersten Mal auf die Weide darf. Selbst mit 800 kcal, auf die ich irgendwann im Angesicht des Hungertodes hochgegangen bin, ging ich durch die Hölle. Die ersten paar Tage waren ok. Kraftlosigkeit, Müdigkeit und unglaublich schlechte Stimmung, die im Stundentakt zwischen Depression und Aggression hin- und herschwankte bestimmten aber Woche zwei und drei der Diätphase. Ich habe schon viel ausprobiert, war viel krank in meinem Leben, aber so schlecht habe ich mich selten gefühlt. ABER: fünf überschüssige Nichtraucher-, Jojo- und Stoffwechselschaden-Kilos waren weg. Von den Sportlern in meinem Umfeld erntete ich Komplimente, der Rest meiner Mitmenschen fragte mich, ob ich krank sei. Ein halbes Jahr später sind von den fünf Kilos drei wieder da. Trotz überwiegend ausgeglichener Ernährung (moderates Lowcarb) und regelmäßiger Bewegung (im Schnitt eine Stunde Sport an fünf Tagen die Woche). Sicher wird mir ein professioneller HCG-Stoffwechsel-Diät-Coach sagen können, was ich falsch gemacht habe und sein Dogma weiter vertreten. Ich für mich habe beschlossen, dass ich nur noch auf HCG setzen werde, falls es mein Körper irgendwann einmal freiwillig selbst produziert und ansonsten lieber wieder auf solche Experimente verzichte. Nichtsdestotrotz habe ich Menschen getroffen, denen es mit dieser Diät gut ging und ich glaube ihnen. Ich denke, gerade für Übergewichtige, bei denen im Vordergrund steht, mit dem Abnehmen einfach endlich anzufangen, kann das ein Einstieg sein, der vielleicht aufgrund der schnell sichtbaren Erfolge einen Motivationsflow lostreten kann. Das Herunterfahren der Kalorien, die Auseinandersetzung mit Lebensmitteln und das Brechen mit alten Gewohnheiten bringen für mich ohne Zweifel immer die Chance mit sich, von vorne anzufangen und sich gesund und bewusst zu ernähren.

Der Weg ist das Ziel und Stress macht auch nicht schlanker

Ich stehe nach all diesen Selbstversuchen am Ende mit ungefähr demselben Gewicht da wie zuvor. Ich bin lediglich ein wenig schlauer geworden, habe mein Bewusstsein für meinen Grenzen und Möglichkeiten wieder ein Stück geschärft, habe neue Signale meines Körpers entdeckt und zu verstehen gelernt und ich fühle mich gesund und fit. Ich glaube, mein Cortisolspiegel dankt es mir, wenn ich mir nicht vor jeder Mahlzeit zwei Stunden lang den Kopf darüber zerbreche, wieviel wovon ich wann essen darf und beim Blick auf die Verbotsliste einfach nur Hunger bekomme. Immerhin macht Cortisol am Ende ja auch nur fett. Vorerst bin ich also mal durch mit dem Wort „Diät“ in dem Sinne, wie es heute in inhaltsleeren Frauenzeitschriften interpretiert wird: „All eyes on calories“, weniger, cleaner, disziplinierter. Während man in den 90ern die spießige Gesellschaft mit blauen Haaren und Löchern in den Jeans provoziert hat, isst man heute von irgendetwas ganz viel und dafür von etwas anderem gar nichts, auch um denen, die irgendwie so beneidenswert glücklich und zufrieden wirken, ihre mangelnde Disziplin und unerhörte Ignoranz vor Augen zu halten. Diese Kretins treffen sich doch tatsächlich mit ihren Freunden zum Essen, lassen es sich schmecken und genießen den Abend, während wir Diät-Junkies stolz unsere Erfolge bei Facebook posten und so tun als wären wir damit irgendjemandem überlegen.

Bis die Ernährungs-Weltformel endgültig gefunden und belegt wurde, empfehle ich also einfach viele Ballaststoffe. Es kommt am Ende doch so und so irgendwie nur Scheiß raus, dann rutscht er wenigstens leichter!

Samstag, 7. Februar 2015

Tief durchatmen, Männer! Wir sind doch hier nicht beim Billig-Porno, oder?


Er ist irgendwo am anderen Ende des Raumes. Ich kann ihn nicht sehen, große Apparaturen aus Metall und Leder versperren mir die Sicht, das Licht ist schummrig. Ich höre genau hin. Langsam wird sein Atem schneller und er fängt an, erst leise, dann immer lauter zu stöhnen. Wer ist er? Was ist es, was ihn so in Wallung bringt? Die Luft ist schwülwarm und ein leichter Schweißgeruch erfüllt den Raum. Und während ich versuche, mir langsam und unbemerkt den Weg durch den Raum in seine Richtung zu bahnen, wird das Stöhnen immer lauter.
  
„Wuuuuaaaahhhhhhhhhhhh… Uuuarrrrghh… Pfffttttzzzzzhhhhh…!“
   
Na dann prost Mahlzeit! Schon wieder einer dieser halb trainierten, halb speckigen, aber dafür umso selbstbewussteren Wannabe-Pumper, der jeden seiner unsauber ausgeführten Bizepscurls mit Geräuschen untermalt, die mir noch das Mittagessen von vorgestern wieder hochkommen lassen. Kurz überlege ich, inwieweit ich evolutionsbiologisch wirklich dazu verpflichtet bin, mich zur Erhaltung unserer Art mit dem männlichen Geschlecht einzulassen und was ich tun kann, um mich dieser Verantwortung für den Rest meines Lebens zu entziehen. Zum Glück begegnen mir außerhalb der Freihantelbereiche von 15-Euro-monatlich-Fitnessstudios hier und da auch angenehmere Exemplare dieser Spezies, so dass ich mit meiner sexuellen Orientierung auch wieder ins Reine komme, sobald ich die traumatischen Ereignisse verarbeitet habe. Bis zwei Tage später die nächste Trainingseinheit ansteht und die Geschichte wieder von vorne los geht...

Kampf- oder auch Hochleistungskraftsportler sind der lebendige Beweis dafür, dass abruptes und geräuschvolles Ausstoßen von Luft aus den Lungen durchaus unterstützende Wirkung in Sachen Maximal- und Explosivkraft haben kann. Aber auch das ist eine Frage der Technik und des gezielten Einsatzes. Die gequälten Stöhnlaute, mit denen manche Möchtegernsportler jede einzelne ihrer je 3 x 12 Übungswiederholungen untermalen, hat damit nichts zu tun und birgt genau genommen sogar gesundheitliche Risiken. Der durch Pressatmung provozierte extreme Anstieg des Bluthochdrucks kann unter gewissen Umständen zum Beispiel zu Gefäßschädigungen führen.

Deshalb frage ich mich und euch ganz ernsthaft: Warum nur? Und warum sind es fast ausschließlich Männer, die durch die Muckibuden schreien, wie wenn es um Leben und Tod ging oder wie wenn Letzterer gar bereits kurz bevorstünde und sie der Nachwelt nur noch ihr akustisches Erbe hinterlassen wollen, bevor sie einem qualvollen Untergang entgegenleiden. „Frauen trainieren einfach nicht so hart“ höre ich da schon den ein oder anderen grummeln. Neulich habe ich mir den Spaß erlaubt und abgewartet, bis einer dieser 150-Dezibel-Stöhner an der Multipresse fertig war, habe demonstrativ auf beiden Seiten der Stange je noch eine 5-kg-Scheibe dazugepackt und zwei Wiederholungen mehr gemacht als er. Selbstverständlich habe ich darauf geachtet, dass mir seine sowie die Aufmerksamkeit seiner Trainingsbuddies sicher ist (ein weit ausgeschnittenes Sporttop wirkt bei diesem Klientel wahre Wunder!) und selbst wenn es mich fast eine Knie- und zwei Bandscheiben gekostet hat, das war es mir wert. Und hey – Surprise! Suprise! – ich musste dabei nicht schreien, wie wenn ich gerade ein Kind gebären würde. 

Warum das Ganze also? Kann mir das irgendwer mal erklären? Ich meine, dass es einem hier und da bei der ganzen Anstrengung mal einen Laut rausreißt ist doch klar. Sport soll schließlich auch irgendwie emotional sein, sonst können wir ja gleich alle zweimal die Woche für 15 Minuten ins EMS-Studio gehen und gut ist's. Aber das gesamte Trainingsprogramm lauthals durchblöken bis sämtliche anwesenden weiblichen Gäste PMS-ähnliche Zustände bekommen? Wenn ihr es echt nicht mehr schafft zu atmen, dann packt lieber ein paar Kilo weniger drauf und führt die Bewegungen so aus, dass die normalen Körperfunktionen noch aufrecht erhalten werden können – euer Kreislauf und euer Herz werden es euch danken! Wenn es um die Maximalkraft geht, schreit euch von mir aus die Seele aus dem Leib. Das ist dann ja nur ein oder zwei Mal pro Kerl und Tag. Dann können wir so tun, als hätten wir es nicht gehört, Fremdschäm- und Ekelfaktor bleiben im bewältigbaren Bereich und wir können Euch beim nächsten Treffen vielleicht auch noch in die Augen sehen.

In diesem Sinne: Tief durchatmen, Männer – außer ihr wollt ins billige Pornogeschäft. Aber selbst da wäre ich vorsichtig. Denn ich kann mir vorstellen, dass die Frauen, die auf Schmutzfilmchen stehen, in denen Männer solch ekelhaft penetrante und nicht enden wollende Grunzgeräusche von sich geben, nicht in eure bevorzugte Zielgruppe fallen. Buäh! Ich atme ein, ich atme aus…